
Zugegeben: Der Titel ist nicht von mir. Sondern von Erich Kästner, ja, dem Kinderbuchautor! Oder muss man nicht viel mehr sagen: Von dem Mann, der Kinder – und Erwachsene ziemlich gut beobachtete? Die zehnte Nachdenkerei handelt so auch von dem, was Kinder und Erwachsene verbindet. Kästner nennt es: Familienglück. Und das beschreibt er so: „Erwachsene haben ihre Sorgen. Kinder haben ihre Sorgen. Und manchmal sind die Sorgen größer als die Kinder und die Erwachsenen, und dann werfen die Sorgen, weil sie so groß und breit sind, sehr viel Schatten. Und da sitzen dann die Eltern und die Kinder in diesem Schatten und frieren. Und wenn das Kind zum Vater kommt und etwas fragt, knurrt der: Lass mich in Ruhe! Ich habe den Kopf voll! Puh, und dann verkriecht sich das Kind, und der Vater versteckt sich hinter der Zeitung. Und wenn die Mutter ins Zimmer tritt und fragt: „Was hat’s denn gegeben?“ sagen beide: „Och, nichts weiter“, und dann ist es mit dem Familienglück Essig.“
Aus dem Buch „Pünktchen und Anton“ stammt diese Nachdenkerei. Aber die Sache mit den Sorgen und den Schatten, dieses Frieren und den vollen Kopf kenn ich auch ganz gut. Und dass ich mich hinter der Zeitung verstecke und dann knurre – doch, doch, kommt leider öfter vor, als ich das möchte.
Als ich neulich gerade wieder so am Knurren war, kam der große Kleine ins Zimmer und stellte sich vors Fenster und meinte trocken: „Was singt denn der Vogel da draußen in der Sonne?“ - Erst war ich nur am Muffeln. Dann provozierte mich die Beharrlichkeit, mit der er dort stehen blieb und aus dem Fenster sah. Und dann sah ich auch die Sonnenstrahlen. Und hörte den Vogel.- Und mir fiel dieser Satz aus dem Evangelium ein:
„Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheuen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?“ (Matth. 6,26) - Und ich mußte denken: mehr als die Sorgen auf jeden Fall.
Heiko Schütte, Superintendent in Soltau